Der Kirchenbau und die Betonglasfenster von Heinz Lilienthal

Dieser Beitrag beruht auf einem Vortrag von Hanne-Lore Mommsen, den sie im September 1999 bei einem Gemeindenachmittag für die älteren Gemeindeglieder gehalten hat. In der hier vorliegenden, überarbeiteten Form wurde der Vortrag auch im Gemeindebrief Nr. 30 (März - April - Mai 2000) abgedruckt.

Wer etwas von dem großen Schatz der Trinitatiskirche in Marburg-Wehrda, ihren bunten Fenstern, erfahren will, muß schon durch das Bronzeportal hineingehen, denn von außen scheinen sie grau und dunkel zu sein. Allerdings müßte am besten die Sonne scheinen; sie erschließen sich nämlich nur dem, der das Licht durch sie hindurchscheinen sieht.

Fotografie des Altarraums mit dem Pfingstfenster am Erntedankfest

Der Altarraum mit dem Pfingstfenster

Die ersten Christen versammelten sich in ihren Häusern (Apg.1,13). Als man anfing Kirchen zu bauen (das Wort „Kirche“ stammt aus dem Griechischen und bedeutet „dem Herrn gehörend“), gab man ihnen bald Namen nach Vorbildern im Glauben - wie der Elisabethkirche Marburgs nach der heiligen Elisabeth. 1980 bekam unsere Kirche im Neubaugebiet Wehrda den Namen Trinitatiskirche, weil jeder Gottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, der Trinität, gefeiert wird. Entsprechend der Dreieinigkeit Gottes sollte der Kirchenneubau drei große Fenster bekommen. An der Planung war deshalb von Beginn an der Glasmaler mitbeteiligt. Wie in allen Kirchen schon immer das Wort Gottes gesprochen und gesungen wurde, war seit jeher dort auch der Platz für bildende Kunst, für die zu allen Zeiten das Beste gut genug war.

So sind in unserer Trinitatiskirche die Bilder der Fenster und das Weihnachtsgemälde, das ursprünglich über dem Altar einer hessischen Schloßkapelle hing, 'Lehrer des Glaubens'. Das alte Bild in der modernen Kirche will zudem sagen, daß es schon lange vor uns Christen gab.

Während der Planung unserer Kirche wurde der Pfarrer auf Heinz Lilienthal durch eines seiner Fenster in einer Kapelle in Bethel aufmerksam. Der Kirchenvorstand entschied sich für dessen Entwürfe. Der durch Arbeiten in Glas, Metall, Holz und Mosaik in Norddeutschland bereits sehr bekannte Künstler wurde 1927 geboren und fand nach der Flucht aus Ostpreußen in Bremen eine neue Heimat. Daß unsere Gemeinde seine Arbeiten bezahlen konnte, verdankt sie einer großzügigen Stiftung.

Glasmalerei heißt: man „malt“ mit farbigem Glas und unterscheidet nach Material und Herstellungstechnik zwischen Bleiglas und Betonglas.

Bleiglas kann man vollendet schön im Hohen Chor der Elisabethkirche bewundern. Kleine, farbige Glasstücke wurden dafür im 13. Jahrhundert von größeren Stücken mit heißen Eisen abgesprengt und mit „Bleischnur“ (Blei ist formbar) miteinander verbunden.

Auf einem Quadratmeter kamen ungefähr 900 Gläser! Gesichter wurden mit Hilfe von Schwarzlot aufgemalt. Bleiglasfenster sind zart und leicht zerstörbar. Heute schützt man sie darum mit Außenverglasungen. In späteren Jahrhunderten geriet die Kunst der farbenprächtigen Glasmalerei nahezu in Vergessenheit. Heinz Lilienthal schuf wichtige Werke in Bleiglas, dieser alten Technik. In unserer Kirche entwarf er jedoch die Fenster für Betonglas, verwendete also ein Material unserer Zeit. Glas in strahlenden Farben wie in der Gotik, aber stabiler und mit starken Akzenten. Moderne Architektur paßt dazu.

So entstehen Betonglasfenster

Das durch und durch gefärbte Glas (unser Rot kam aus Frankreich) ist ca. drei Zentimeter dick und hat hier und da eingeschlossene Luftblasen. Im Verhältnis 1:1 wird der Entwurf auf Papier gezeichnet. Diesem Entwurf entsprechend werden die Glasteile mit einem Hammer von den großen Gläsern abgeschlagen. Die Schlagkanten leuchten in den Fenstern silbern - auch ohne Sonne! Auf dem Papier werden die einzelnen Teile abgelegt und mit Metallbändern aus nichtrostendem Edelstahl untereinander festgehalten (vgl. die Bleischnur beim Bleiglas). Zuletzt wird zwischen die Glasstücke Beton gegossen. Der verschieden breite Abstand ist gewolt und bringt zusätzliche Lebendigkeit. In größeren Abschnitten, die man an Querlinien gut erkennen kann, wurden die Fenster von Bremen nach Wehrda transportiert. Man sieht ihnen an, wie schwer sie sind.

Die Themen der Fenster

In unserer Zeit sind vielen Menschen die biblischen Geschichten unbekannt. Auch darum sind die farbigen Fenster der Trinitatiskirche mit ihren Bildern, die aus der Bibel erzählen, als Zeugnisse christlichen Glaubens wichtig. Die drei Fenster interpretieren den Glauben an den dreieinigen Gott - Vater, Sohn und Heiligen Geist.

Wir bekennen: Ich glaube an Gott , den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde.

Wie ein langes, lichtes Band zieht sich das Schöpfungsfenster hoch über dem Eingang zum Kirchenraum hin. Man sieht es vom Altar aus am besten. Weil alle Kirchen nach Osten, nach Jerusalem ausgerichtet sind, leuchten die Farben dieses Fensters am intensivsten, wenn die Sonne im Westen steht, d.h. am späten Nachmittag.

Die Schöpfungsgeschichte wurde von Heinz Lilienthal nach 1. Mose 1 gestaltet [und auch die Unterschriften zu den Bildern, die durch Anwahl mit der Maus vergrößert werden können, sind eng am biblischen Text orientiert]. Auf Himmel, Licht und Finsternis, über denen Gottes Geist in angedeuteter zarter Gestalt einer Taube schwebt (V.1-3), folgen Sonne, Mond und Sterne (V.14-18) und dann erst Gras und Kraut (V.11), schließlich Fische und Vögel (V.20-22).

Gott trennte Licht und Dunkelheit und Luft und Wasser (die Taube als Bild für Gott) Tag und Nacht sind aus Gottes Hand Mond und Sterne regieren die Nacht Gott läßt aufgehen Gras und Kraut Gott schuf Himmel und Erde Die Vögel sollen fliegen auf Erden
Das Schöpfungsfenster: Bilder 1 bis 6 (Collage)

Das Schöpfungsfenster: Bilder 1 bis 6 (Collage)

Sieht man genau hin, dann erkennt man im grünen Grund auch noch einen eiligen Biber! In mehreren Bildern wird in der Folge die Vielfalt der Schöpfung dargestellt. Den Schluß bildet rechts zwischen Bäumen das Menschenpaar, das sich aneinanderlehnt. Unser Schöpfungsfenster endet nicht mit dem Sündenfall, wie im Mittelalter üblich, sondern damit, daß Gott alles ansah, "was er gemacht hatte, und siehe es war sehr gut." (V.31), eine Verpflichtung für uns, gut mit Gottes Schöpfung umzugehen, zu der nicht umsonst auch die Ruhe "am siebenten Tag" gehört (1. Mose 2,2+3).

Das Wasser wimmelt von Tieren ... ... und hat Pflanzen Sehet, ICH habe euch gegeben alle Pflanzen und Tiere Gott schuf Bäume mit Früchten zu eurer Speise Menschen nach Gottes Bild Und Gott sah alles was er gemacht hatte und siehe, es war gut
Das Schöpfungsfenster: Bilder 7 bis 12 (Collage)

Das Schöpfungsfenster: Bilder 1 bis 6 (Collage)

Wir bekennen: Ich glaube an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn.

Die linke nördliche Seite des Kirchenraumes wird vom Christusfenster eingenommen. Dem Glasmaler war dafür vorgegeben, möglichst gegenständlich Christus-Geschichten darzustellen. In der Mitte ist dennoch eine große Gestalt, die zu schweben scheint, nur zu ahnen. Beine, Kopf und ausgebreitete Arme sind wahrzunehmen. Heinz Lilienthal hat den Versuch gewagt, Christus nach Ostern in Glas zu malen, in dem neuen Leben, das er auch den Seinen geben will, von dem wir aber nicht wissen können wie es sein wird. Der österliche Christus ist bewußt der Mittelpunkt des Fensters.

Weihnachten Flucht Der österliche Christus Die Taufe Jesu Die Hochzeit zu Kana Die Speisung der 5000 Die Errettung des sinkenden Petrus Gethsemane Der Verrat des Judas Die Kreuzigung Die trauernden Frauen
Fotografie des Christusfensters

Das Christusfenster

Die Evangelien sind von Ostern her geschrieben. Darum umgeben Bilder des Neuen Testaments den von Gott Auferweckten wie mit einem Kranz [die einzelnen Szenen können durch Anwahl mit der Maus vergrößert werden]: Die obere Reihe: Weihnachten (Lk. 1,26-33 und Lk. 2,1-7) und Flucht (Mt. 2,13-15). Die Basis des Fensters bildet das Geschehen um das Kreuz Jesu: Gethsemane (Mt. 26,36-45), der Verrat des Judas (Mt. 26,47-50) und die Kreuzigung (Mt. 27,33-50 oder Joh 19,17-30) mit den trauernden Frauen (Joh. 19,25). Links von oben nach unten sieht man in Bildern die Taufe Jesu (Mt 3,13-17) und die Hochzeit zu Kana (Joh. 2,1-11), rechts von oben nach unten die Speisung der 5000 (Mt.14,22-33) und die Errettung des sinkenden Petrus (Mt.14,22-33).

Wir bekennen: Ich glaube an den Heiligen Geist.

An der rechten Wand des Kirchenraumes beeindruckt das Pfingstfenster mit seiner leuchtenden Farbenpracht. Der Heilige Geist ist im alten Symbol der Taube (s. Jesu Taufe Mt. 3,16-17) dargestellt und geht wie in "feurigen Zungen" (Apg. 2,3) oder "wie ein gewaltiger Wind" (Apg. 2,1+2) von ihr aus. Diesem dramatischen Geschehen entspricht die Dynamik der Farbgestaltung. Man lernt zu verstehen, was Martin Luther vom Heiligen Geist sagt: "Ich glaube, daß ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesus Christus, meinen Herrn, glauben oder zu ihm kommen kann." Folgerichtig steht neben dem Pfingstfenster darum der Taufstein.

Fotografie des Pfingstfensters

Das Pfingstfenster

Die Farben der Fenster

Was wäre unser Leben ohne Farben? Auch für unsere Kirchenfenster ist es wichtig zu wissen, daß ihre Farben nicht nur schön und herrlich sind, sondern daß sie - genau wie die Farben in den Gemälden der großen christlichen Kunst - noch einmal eine eigene Sprache sprechen. Mit ihrer Kenntnis kann man die Fenster ganz neu verstehen.

Gold - Gelb

Dem Gold entspricht im Glas das Gelb. Es ist die göttliche Farbe schlechthin, die den Glanz Gottes zeigt. In allen Christus-Geschichten der Fenster sieht man um das Haupt Jesu gelb den "Heiligenschein". Hier ist der Herr, der Sohn Gottes! Auch die Taube im Pfingstfenster hat die göttliche Farbe Gelb.

Weiß

Weiß ist die Farbe des Lichtes, die Summe aller Farben. Jesus sagt von sich "Ich bin das Licht der Welt" (Joh.8,12). Weiß ist das Lamm, das für Jesus steht, der sich für die Seinen opfert (Offb. 5,1-14). Die Engel erscheinen an Ostern (Joh. 20,12) und Himmelfahrt (Apg. 1,10) weiß und für Taufkleider wählten Christen schon früh die Farbe weiß. Weiß ist das Glas deshalb in unserem Christusfenster um den Auferweckten und im Pfingstfenster um die Taube herum.

Rot

Dagegen ist eine "irdische" Farbe. Sie deutet auf Blut und Feuer, Liebe und Macht. So wie die Könige früher purpurrote Mäntel trugen, so zeigt das Rot in unseren Fenstern auf die Hoheit und Macht Jesu: in den Broten des Speisungswunders, in den Krügen der Hochzeit zu Kana, in den Windeln des Kindes in der Krippe (fast zu übersehen!) und im Kreuz! Auf Jesus, den Herrn, wird dadurch hingewiesen.

Im Pfingstfenster sind mehrere Nuancen des Rot zu sehen, weil Gottes Macht verschieden erfahren wird: im Feuer seiner Liebe , aber auch in den Dunkelheiten des Lebens. So findet sich ein wenig violettes Glas, eine Trauerfarbe, mitten im Rot, im Blau und im Weiß um den österlichen Christus herum. Der Auferstandene ist niemand anders als der Gekreuzigte.

Blau

Blau ist die Farbe des Himmels und des lebenspendenden Wassers, eine sieghafte Farbe, die dem Goldgrund, den wir von Altären und Gemälden kennen, ebenbürtig ist. Darum haben auch alle Christus-Geschichten einen Blaugrund. Blau und Rot gemeinsam sind die Gewandfarben himmlischer Personen wie man in unserem Weihnachtsbild an Maria sehen kann. Blau ist auch die Farbe der Treue, der Treue Gottes.

Grün

In einem der Fenster des Ostchores der Elisabethkirche ist Grün die Farbe für den Glauben, der standhaft bleibt, d.h. die Farbe, in der Bekenner und Märtyrer leuchten. In den Fenstern Heinz Lilienthals ist Grün die Farbe für Leben und Unsterblichkeit. Man findet Grün darum zahlreich und in Variationen um den auferstandenen Christus herum. Auch die Himmelsfarbe Blau des Pfingstfensters geht allmählich in Grüntöne über, die auf das neue Leben mit Christus weisen.

Grün und weiß sind auch die Gläser des kleinen Fensters links neben dem Altar, das von vielen Besuchern unserer Kirche nicht wahrgenommen wird und doch nicht vergessen werden soll; denn zusammen mit dem großen Pfingstfenster fällt von da aus Licht auf den Altar.

Braun und Grau

Sie sind die Farben von Erde und Asche und konsequent die Richtung des Heiligen Geistes in Feuer und Kraft im Pfingstfenster. Unsere Welt mit Erde und Steinen, die durch die Gläser im Boden durchscheinen, ist mit braunem und grauem Glas gedeutet.

Alle Bilder und alle Farben der Fenster unserer Trinitatiskirche sind letztlich nichts Verschiedenes. Sie sind zusammen das Vollkommene, von dem das Glaubensbekenntnis der Kirche redet, wenn es Gott, den Vater, den Allmächtigen, Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, unseren Herrn und den Heiligen Geist bekennt.

20 Jahre nach der Einweihung der Kirche ist das auch in Zukunft die bleibende Mitte der Gemeinde, die sich an dem Schatz der Betonglasfenster von Heinz Lilienthal in der Trinitatiskirche in Marburg-Wehrda freut.